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„Die Agrarpolitik ist wie ein Tanker, nicht sonderlich wendig“

Interview mit Prof. Dr. Stephan von Cramon-Taubadel

Wie wird sich die Agrarpolitik im Zuge der neuen Realitäten infolge des Ukraine-Krieges, Inflation etc. weiterentwickeln?

Das ist schwer vorherzusagen, weil man nicht weiß, wie bestimmte Entwicklungen, wie Russlands Angriffskrieg in der Ukraine, ausgehen werden. Ein wichtiger Punkt dabei ist, dass die Agrarpolitik wie ein Tanker ist, nicht sonderlich wendig. Die Agrarpolitiker der EU haben erst in einem Riesenkraftakt und mit zweijähriger Verspätung Mitte 2021 eine Reform beschlossen, die ab dem 1. Januar 2023 mit einer zweijährigen Übergangsphase umgesetzt wird. Ich gehe davon aus, dass die Agrarpolitiker in Brüssel und in den Hauptstädten der Mitgliedsländer diese Reform – insbesondere die Eco-Schemes – zunächst umsetzen möchten, bevor sie weitere größere Veränderungen vornehmen. 
Das schließt natürlich nicht aus, dass kleinere Anpassungen vorgenommen werden. In Deutschland zum Beispiel wird über eine Absenkung der Mehrwertsteuer für Obst und Gemüse nachgedacht, um die Inflation zu bekämpfen und Anreize für eine gesunde Ernährung zu stärken. Und möglicherweise werden wir in den kommenden Jahren erleben, dass Entscheidungen mit wichtigen agrarpolitischen Folgen zunehmend von Nicht-Agrarpolitikern getroffen werden. Ich denke hier z. B. an klima- und energiepolitische Entscheidungen, die weitreichende Folgen für den Agrarsektor haben, oder eine mögliche Umsetzung der EU-Taxonomie in der Agrar- und Ernährungswirtschaft, die große Auswirkungen auf die Kreditversorgung des Sektors hätte. 

Wie wird sich Nachhaltigkeit in der Agrarpolitik in diesem Spannungsfeld in den nächsten Jahren weiter etablieren?

Es ist schwer vorherzusehen, inwieweit die Umsetzung der nationalen Strategiepläne und der Eco-Schemes zur Erreichung der Green Deal- und speziell der Farm-to-Fork-Ziele beitragen wird. Sicher ist - wenn Ziele wie z.B. 25% Ökofläche bis 2030 auch nur annähernd erreicht werden sollen, dann muss agrarpolitisch zügig noch einiges draufgelegt werden. Wie gesagt, ich vermute allerdings, dass die agrarpolitischen Entscheidungsträger momentan keine große Lust verspüren, Fässer wieder aufzumachen; sie müssen zunächst schauen, dass die 2021 beschlossene Reform umgesetzt wird. 

Ernährungssicherung und Ökologie: Wie bewerten Sie dieses Spannungsfeld aus wissenschaftlicher Sicht und wo sehen Sie Problemfelder?

Bestimmte Elemente des Green Deal sehe ich sehr skeptisch im Hinblick auf ihrer Umsetzung und Folgen. Es hat ein Vierteljahrhundert gedauert, um in Deutschland auf etwa elf Prozent Ökofläche zu kommen, und jetzt sollen wir in sieben Jahren bis 2030 auf 25 Prozent kommen? Das sehe ich einfach nicht, zumal die meisten Landwirte und Landwirtinnen, die eine intrinsische Affinität für den Ökolandbau haben, vermutlich bereits umgestellt haben, und wir gerade eine schwierige Phase auf dem Ökomarkt durchmachen. Um die 25% bis 2030 zu erreichen müsste ein extrem teures Subventionsprogramm sofort umgesetzt werden – das halte ich für ausgeschlossen. 

Und selbst wenn die 25% bis 2030 erreichbar wären, muss hinterfragt werden, ob es die Nachhaltigkeit global fördern würde. In einem komplexen globalen System führen Schritte, die lokale Verbesserungen verursachen, nicht notwendigerweise zu Verbesserungen auf globaler Ebene. Stichwort indirekte Landnutzungsänderungen. Wenn bei uns die Ökofläche auf 25% steigt, werden wir entsprechend weniger erzeugen. Wenn unsere Nachfrage nicht im gleichen Maße zurückgeht, dann muss das, was wir weniger erzeugen, woanders auf der Erde erzeugt werden. Negative Umwelteffekt werden verlagert und können global betrachtet sogar zunehmen, wenn die Erzeugung anderswo umweltschädlicher ist als bei uns. Überspitzt formuliert: letztlich ist es der Atmosphäre egal, wo die Tonne CO2 ausgestoßen wird. 

Der wesentliche Punkt ist meiner Ansicht nach auf der Konsumentenseite zu suchen: Wir müssen unsere Konsumgewohnheiten kritisch hinterfragen und schauen, dass wir das gesamte globale System entlasten, um in den beiden Zielrichtungen Ernährungssicherheit und Ökologie Erfolge zu erzielen. Wenn wir unseren Fleischkonsum reduzieren, dann müssen weniger Schweine gemästet werden. Wo sie dann weniger gemästet werden, ob bei uns oder woanders auf der Erde, ist fast egal.